Der Krieg in der Ukraine führt auch zu Ernteausfällen und Düngemittel-Knappheit. Was der Schweizer Bauernverband dagegen zu tun gedenkt, ist ein schlechter Witz.
Während wir uns hier eines fantastischen Monats März erfreuten, der bereits die ersten Schweizer Spargeln zutage gefördert hat, spitzt sich die Krise in der Ukraine nicht nur militärisch zu. Für die oft zitierte «Brotkammer Europas», wie die Ukraine aufgrund der hohen Getreideproduktion genannt wird, werden die Konsequenzen des Krieges auch für die Landwirtschaft mittlerweile international wahrgenommen. Sie schlagen sich in Aktienkursen und Weltmarktpreisen nieder.
Aktuell mangelt es in der Ukraine etwa an Diesel für Landmaschinen, aber auch an Mitarbeitenden, welche die anstehende Aussaat bewerkstelligen müssten. Folglich ist ein Rückgang des Erntevolumens von 30 bis 40 Prozent für die Vermarktungssaison 2022/23 anzunehmen, wie einer führenden Anlegerzeitschrift zu entnehmen ist. Saisonal bedingt wird es nicht einfach sein, diesen Ernteausfall zeitgleich durch die Lieferung aus anderen Regionen zu kompensieren. Vor allem die afrikanischen Staaten werden daher versuchen, ihren zusätzlichen Bedarf nun in Australien, Indien, Argentinien oder in den USA zu decken.
Preistreibend wirkt in diesem Zusammenhang das Verhalten einiger Staaten, den eigenen Getreideexport komplett einzustellen. Parallel dazu verteuern die steigenden Gaspreise den Mineraldünger enorm, sodass viele Landwirte in dieser Anbausaison versuchen werden, den Düngemittel-Einsatz einzudämmen beziehungsweise auf organische Stoffe umzusteigen. In der Folge sind selbst hierzulande Ernteeinbussen von bis zu zehn Prozent nicht auszuschliessen.
Der rasante Preisanstieg begann jedoch schon lange vor dem Krieg: Seit Anfang 2020 haben sich die Preise für Stickstoffdünger vervierfacht, für Phosphat und Kali mehr als verdreifacht, wie die «Jungfrau Zeitung» berichtet. Grund ist der vorangegangene rasante Anstieg der Energiepreise: Erdgas ist sowohl als Energiequelle als auch als Rohstoff essenziell bei der Ammoniakherstellung, dem Grundstoff für die allermeisten Stickstoff-Düngemittel. Der Gaspreis macht daher bei Stickstoff-Düngemitteln etwa 80 bis 90 Prozent der Produktionskosten aus.
Eine tatsächliche Steigerung der Selbstversorgung kann nur über eine Reduktion der futtermittelabhängigen Tierproduktion geschehen.
Unter der starken Teuerung und der zunehmenden Knappheit von Lebensmitteln und Düngern werden – wie so oft – zuerst die Länder in Afrika und Südamerika leiden, die sich Dünger nicht mehr leisten können und dadurch von starken Ernteausfällen betroffen sein werden. Im globalen Westen werden sich indessen die Produktionskosten für die Landwirtschaft verteuern. Bereits wurden Zölle für den Import von Futtermitteln aufgehoben, um die Verteuerung der Lebensmittelproduktion aufzufangen.
Geradezu absurd mutet in dieser Situation die Reaktion des Schweizer Bauernverbandes an, der fordert, im Sinne der Selbstversorgung von der extensiven Landwirtschaft wegzukommen und vermehrt zu intensivieren, sprich mittels mehr Düngemittel- und Pestizid-Einsatz die Erträge pro Hektare zu steigern. Ausserdem sollen Biodiversitätsflächen wie Blühstreifen reduziert und umgegraben werden.
In einer Situation der globalen Düngerknappheit auf Intensivierung mithilfe von (importiertem) Dünger zu setzen und dabei die Unabhängigkeit zu stärken, ist ein Schildbürgerstreich erster Güte. Und die 1,2 Prozent Blühstreifen umzugraben, um Nahrung anzubauen, ist ein schlechter Witz in Anbetracht dessen, dass wir grossflächig Futtermittel für die intensive Poulet- und Schweinemast anbauen, statt die Fläche für menschliche Nahrung zu nutzen. Eine tatsächliche Steigerung der Selbstversorgung kann nur über eine Reduktion der futtermittelabhängigen Tierproduktion geschehen, gekoppelt an eine Nutzung der Agrarflächen für den Anbau menschlicher Nahrung.
Im Zuge der Selbstversorgungs- und Anbauschlachtdiskussion habe ich einige alte Bücher gelesen, aus den 30er-Jahren und aus der Nachkriegszeit. Kartoffeln auf Fussballfeldern, eine starke Reduktion des Fleischkonsums und ein Rezept einer findigen Hausfrau für Kartoffelwurst waren damals Strategien, die zur Erhöhung der Selbstversorgung herangezogen wurden. Und auch wenn ich weit entfernt davon bin, alles davon gutzuheissen: Zielführender als die heutige Strategie der Intensivierung und Erhöhung der Düngerabhängigkeit war die Kartoffelwurst allemal.
Meret Schneider ist grüne Nationalrätin des Kantons Zürich.
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