Gemäss eidgenössischer Signalisationsverordnung SSV 741.21 kann «die allgemeine Höchstgeschwindigkeit auf gut ausgebauten Strassen mit Vortrittsrecht innerorts hinaufgesetzt werden, wenn dadurch der Verkehrsablauf ohne Nachteile für Sicherheit und Umwelt verbessert werden kann. Vor der Festlegung von abweichenden Höchstgeschwindigkeiten wird durch ein Gutachten (Art. 32 Abs. 3 SVG) abgeklärt, ob die Massnahme nötig (Abs. 2), zweck- und verhältnismässig ist oder ob andere Massnahmen vorzuziehen sind. Dabei ist insbesondere zu prüfen, ob die Massnahme auf die Hauptverkehrszeiten beschränkt werden kann.» (Art. 108 abs. 3 und 4, SSV)

Auf dem kantonalen Staatsstrassennetz bestehen diverse Abschnitte innerhalb des Siedlungsgebietes, welche mit Tempo-60 signalisiert sind (siehe GIS-Browser mit den beiden Layern «signalisierte Höchstgeschwindigkeiten Kantonsstrassen»; «inner- und ausserorts auf Kantonsstrassen»)

Diese Tempo-60-Strecken innerorts bestehen oft schon seit längerer Zeit. In der Zwischenzeit haben sich aber die Verkehrsmengen verändert und die Siedlungsgebiete entlang der Strassen sind dichter bebaut worden. Dadurch ergeben sich Veränderungen bezüglich Verkehrsablauf, Sicherheit und Umwelt.

Der Stand der Lärmsanierung auf Staatsstrassen wird auf der Webseite des Kantons dokumentiert. In 112 Gemeinden wird die Lärmsanierung als «abgeschlossen» dokumentiert.

In zahlreichen Gemeinden bestehen Streckenabschnitte innerorts, auf denen 60 km/h signalisiert ist. Bei einer Lärmsanierung haben Massnahmen an der Quelle gemäss Lärmschutzverordnung Priorität. Gemäss den auf der Webseite aufgeschalteten Dokumenten wurde aber die gefahrene bzw. die signalisierte Geschwindigkeit als Basis der Lärmberechnungen genommen. Diese gegen oben abweichende Höchstgeschwindigkeit wurde im Rahmen der Lärmsanierungsprogramme offenbar nicht in Frage gestellt. In den Unterlagen ist zumindest kein entsprechender Nachweis dokumentiert, welcher die Rechtmässigkeit einer nach oben abweichenden Höchstgeschwindigkeit, trotz Überschreitung der Immissionsgrenzwerte belegt.

In vielen Gemeinden sind die Immissionsgrenzwerte – auch nach «abgeschlossener» Sanierung – überschritten. Es wurden vielerorts lediglich Schallschutzfenster eingebaut. Gemäss Lärmschutzverordnung sind Schallschutzfenster aber keine Sanierungsmassnahme, sondern lediglich eine Ersatzmassnahme. Die Sanierungsplicht bleibt somit bestehen. Die Sanierung kann daher nicht als «abgeschlossen» bezeichnet werden.

Vor diesem Hintergrund bitten wir den Regierungsrat um Beantwortung folgender Fragen:

Grüne/SP: Wie viele Kilometer Tempo-60-Strecken innerorts bestehen auf dem Staatsstrassennetz? In welchen Gemeinden? Wir bitten um tabellarische Aufstellung pro Gemeinde von Streckenlänge Tempo-60, davon Streckenlänge Tempo-60-Strecken mit Überschreitung der Immissionsgrenzwerte.

Regierungsrat: Im Kanton Zürich sind ausserhalb der Städte Zürich und Winterthur, die für die Festlegung der Höchstgeschwindigkeiten selber zuständig sind, innerorts 130 Kilometer mit Höchstgeschwindigkeit (Vsign) 60km/h signalisiert. An Strassen, die mit Höchstgeschwindigkeit 60km/h signalisiert sind, sind auf 80 Kilometern 43000 Personen von Überschreitungen der Immissionsgrenzwerte (IGW) betroffen. Auf den übrigen 50 Kilometern sind keine Personen von IGW-Überschreitungen betroffen.

Angaben zu den Gemeinden des Bezirks Uster (Angaben in Kilometern, Anteil mit überschrittenem Grenzwert IGW in Klammern):

  • Dübendorf: 2,3 (1,8)
  • Egg: 0,4 (0,2)
  • Fällanden: 0,3 (0,3)
  • Greifensee: 0
  • Maur: 0,8 (0,8)
  • Mönchaltorf: 0
  • Schwerzenbach: 0
  • Uster: 2,3 (2,1)
  • Volketswil 5,3 (4,1)
  • Wangen-Brüttisellen 0,4 (0,3)

Grüne/SP: Liegen für alle diese Streckenabschnitte Gutachten (gemäss Art. 32 Abs. 3 SVG) vor? Gibt es Tempo-60-Strecken innerorts, wo keine Gutachten bestehen?

Regierungsrat: Der Bundesrat hat mit der Verordnung vom 19. Oktober 1983 über die Änderung von Erlassen des Strassenverkehrs (Tempo 50 innerorts) (AS 1983 1651) unter III Übergangsbestimmungen Absatz 3 festgehalten, dass die bisherige allgemeine Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h auf einzelnen Strecken erhalten bleibt, soweit die baulichen und betrieblichen Verhältnisse dies ohne Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit gestatten. Gestützt auf die Weisungen des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements für die Belassung von 60 km/h auf Strassen mit Vortritt bei der Einführung von 50 km/h vom 19. Oktober 1983 wurden im Kantons Zürich verschiedene Strecken nicht in das neue Regime übergeführt (z. B. die links- und rechtsufrigen Seestrassen entlang des Zürichsees), weshalb für diese Abschnitte auch keine Gutachten gemäss Art. 32 Abs. 3 des Strassenverkehrsgesetzes vom 19. Dezember 1958 (SVG, SR 741.01) vorliegen. Alle Tempo-60-Strecken wurden jedoch einer verkehrstechnischen Sicherheitsüberprüfung unterzogen. Konkret liegen Gutachten für die Ferrachstrasse in Rüti und die Seestrasse im Kehlhof, Stäfa, vor. In Rüti wurde eine Herabsetzung der Höchstgeschwindigkeit abgelehnt, in Stäfa soll das Tempo im Rahmen der geplanten Lärmsanierung von 60 km/h auf 50 km/h herabgesetzt werden.

Grüne/SP: Wo können diese Gutachten eingesehen werden?

Regierungsrat: Gutachten können gestützt auf das Gesetz über die Information und den Datenschutz vom 12. Februar 2007 (LS 170.4) beim jeweiligen Auftraggeber (Tiefbauamt oder Kantonspolizei) eingesehen werden.

Grüne/SP: Auf welchen Rechtsgrundlagen basiert dort die Festlegung der abweichenden Höchstgeschwindigkeit?

Regierungsrat: Die Rechtsgrundlagen für die Festlegung abweichender Höchstgeschwindigkeiten finden sich heute in Art. 32 Abs. 3 SVG, Art. 108 der Signalisationsverordnung vom 5. September 1979 (SSV, SR 741.21) sowie in den Weisungen zur Festlegung abweichender Höchstgeschwindigkeiten des EJPD vom 13. März 1990.

Grüne/SP: Bestehen in den Gemeinden mit Tempo-60-Strecken innerorts Lärmgutachten, welche belegen, dass trotz Überschreitung der Immissionsgrenzwerte eine höhere als die innerorts geltende Höchstgeschwindigkeit 50 km/h signalisiert werden kann? Welches sind hier die Rechtsgrundlagen?

Regierungsrat: Es bestehen keine solchen Gutachten. Die Festsetzung abweichender Höchstgeschwindigkeiten ist gemäss Art. 108 SSV mit einer Rechtsmittelbelehrung zu veröffentlichen.

Grüne/SP: Falls diese Grundlagen fehlen (insbesondere das Gutachten gemäss Art. 32 Abs. 3 SVG und ein Lärmgutachten, welche die Rechtmässigkeit der gegen oben abweichenden Höchstgeschwindigkeit – trotz Überschreitung der Immissionsgrenzwerte – belegen): Wie und wann gedenkt der Regierungsrat den rechtmässigen Zustand wieder herzustellen?

Regierungsrat: Gemäss Art. 108 Abs. 2 Bst. d SSV ist der Verhältnismässigkeit bei der Beurteilung und Festlegung eines Temporegimes ein hoher Stellenwert beizumessen, was dazu führen kann, dass eine Anpassung der Geschwindigkeit nicht in jedem Fall als begründet beurteilt werden kann. Im Kanton Zürich wird die Signalisation bei sämtlichen Strassensanierungen, Lärmschutzprojekten oder neuen Hochbauten am Siedlungsrand bezüglich Ortsbeginn und Höchstgeschwindigkeit überprüft und bei Bedarf angepasst.

Grüne/SP: Anerkennt der Regierungsrat, dass die Sanierungspflicht bei Überschreitung der Immissionsgrenzwerte nach wie vor besteht – auch dort, wo Schallschutzfenster eingebaut wurden – und somit in diesen Gemeinden die Sanierung nicht als «abgeschlossen» bezeichnet werden kann?

Regierungsrat: Solange die massgeblichen Grenzwerte der Lärmschutz-Verordnung (SR 814.41) durch eine öffentliche Strasse überschritten werden, bleibt der Anlagehalter grundsätzlich sanierungspflichtig. Lärmschutz ist somit eine Daueraufgabe. Allerdings ruht die Sanierungspflicht bei rechtskräftig festgesetzten und realisierten Lärmsanierungsprojekten, bis der festgesetzte Sanierungshorizont erreicht oder der festgesetzte Sanierungspegel während mindestens drei Jahren um mehr als 1dB(A) überschritten wird oder der Belag erneuert oder die Strasse wesentlich umgestaltet wird.

Thomas Schweizer, Kantonsrat Grüne, Jonas Erni, Kantonsrat SP

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