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Die Entwicklung des Gesundheitssystems und die Herausforderungen, die wegen der älter werdenden Bevölkerung im Bereich der Pflege zu bewältigen sind, bewegen mich als Vertreterin der jüngeren Generation ganz besonders. Ich habe durch mein privates Umfeld viel Einblick in den Alltag von Pflegepersonen und sehe die Situation zudem aus der Perspektive meiner Grosseltern, die immer mal wieder auf Pflege angewiesen sind.
Es ist mir ein Herzensanliegen, gerade älteren Menschen eine würdevolle Situation und Behandlung im Spital zu bieten und es ihnen zu ermöglichen, so lange wie möglich selbstbestimmt und selbstständig leben zu können. Das erfordert mehr und besser ausgebildetes Pflegepersonal – so viel ist sowohl Befürwortenden als auch Gegnern klar. In der Schweiz sind die Pflegefachleute die Berufsgruppe mit dem höchsten Personalmangel. Wir haben das mehrfach gehört. Seit Jahren wird nicht einmal die Hälfte des Bedarfs an diplomierten Pflegefachleuten ausgebildet. Fast die Hälfte aller Pflegenden gibt an, den Beruf aufgeben zu wollen.
Die zentrale Ursache des Pflegefachkräftemangels liegt in der Ökonomisierung der Pflege. Ich möchte diesen abstrakten Begriff an einem realen Beispiel aus dem Berufsalltag einer Freundin veranschaulichen, das sie mir einmal mehr frustriert erzählt hat: Der fünfzigjährige Herr Müller kommt nach einem Schlaganfall ins Pflegeheim. Er ist in diversen Bereichen seines Alltags stark eingeschränkt. Das Ziel in der Langzeitrehabilitation ist es nun, ihn dabei zu unterstützen, seine Selbstständigkeit wiederzuerlangen. Das benötigt Zeit und Energie – und zwar viel. Wenn er sich beispielsweise selbst duscht und ihn die Pflegefachfrau dabei begleitet, anleitet und unterstützt, so benötigt die Dusche rund eine Stunde Zeit. Diese Stunde steht meiner Freundin jedoch hinten und vorne nicht zur Verfügung, da sie in der gleichen Zeit vier weitere Bewohnerinnen und Bewohner versorgen muss. Übernimmt also die Freundin die Dusche und wickelt die Handgriffe selber ab, so spart sie gute dreissig Minuten.
Auf den ersten Blick ist dies wirtschaftlich effizient – allerdings nur auf den ersten Blick, denn es zeigt sich: Hätte sie Variante zwei gewählt, so hätte sie kurzfristig zwar mehr Zeit gebraucht, durch das Training und die Therapie erhielte Herr Müller jedoch die Möglichkeit, seine Selbstständigkeit wiederzuerlangen. Langfristig bräuchte er dadurch weniger Unterstützung, wodurch der Pflegeaufwand geringer und die Kosten natürlich auch tiefer wären. Der viel wichtigere Punkt jedoch ist die Lebensqualität von Herrn Müller.
Zusätzlich zum Ökonomisierungsdruck nimmt die Zahl der Patientinnen und Patienten im Zuge der demografischen Entwicklung und der neuen medizinischen Möglichkeiten stetig zu. Wir haben es heute mit Menschen mit deutlich komplexeren gesundheitlichen Situationen zu tun. Chronische Erkrankungen mit einem erhöhten Pflegebedarf sind auf dem Vormarsch. Dies benötigt die Expertise von gut ausgebildetem Personal. Doch in der Praxis findet die gegenteilige Entwicklung statt: Es gibt weniger qualifiziertes Pflegepersonal, dafür mehr Hilfskräfte. Diese Formel mag sich auf die Finanzen der Gesundheitsinstitutionen kurzfristig positiv auswirken, doch der Personalabbau ist in vielerlei Hinsicht fatal. Die Kostenersparnis ist ein Fehlschluss. Viel Geld fliesst nämlich heutzutage in die Behandlung von Komplikationen, die mit gut ausgebildetem Personal gar nicht aufgetreten wären. Hier wird definitiv am falschen Ort gespart. Früher oder später werden wir uns der Thematik annehmen und einen Richtungswechsel angehen müssen, weg vom Kostensparen auf dem Buckel der Pflegenden sowie der Patientinnen und Patienten. Das Problem wird sich in den nächsten Jahren nämlich nicht von selbst lösen, im Gegenteil: Es verschärft sich zusehends. Im Jahr 2045 werden doppelt so viele Leute über achtzig Jahre alt sein wie heute. Der Bedarf an Pflegepersonal wird bis 2025 um gut 20 Prozent steigen, und fast jede Person benötigt im Laufe ihres Lebens Pflege, sei es zuhause, im Spital oder im Heim.
Laut Berechnungen von Santésuisse würde uns die Pflege-Initiative rund 5 Milliarden Franken kosten, wobei jedoch 2,7 Milliarden Franken allein auf die Lohnkosten für die Pflegenden zurückgehen, die aufgrund der älter werdenden Babyboomer-Generation ohnehin benötigt werden, ganz unabhängig von der Pflege-Initiative. 5 Milliarden Franken sind ein hoher Betrag. Doch im Gesundheitswesen geht es um Menschenleben, und das sollten wir uns vor Augen führen. In Anbetracht dessen irritiert es doch leicht, wenn nun von der Gegenseite ständig die hohen Kosten ins Feld geführt werden. Es sind die gleichen Leute, die in dieser Wintersession imstande waren, 6 Milliarden Franken für neue Kampfjets auszugeben. Meine Damen und Herren, es ist wesentlich wahrscheinlicher, dass Sie an der Folge unsachgemässer Pflege sterben werden, als dass Ihnen etwas geschieht, weil die Schweiz über zu wenige Kampfjets verfügt, das kann ich Ihnen versichern!
Ich wiederhole: Es geht hier um Menschenleben, es geht um Sicherheit und um ein würdiges Leben im Alter. Das sollte uns die 5 Milliarden Franken wert sein.
Ich danke Ihnen für die Unterstützung der Initiative.
Meret Schneider, Nationalrätin Grüne Kanton Zürich
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